Ende dieses Seitenbereichs.

Beginn des Seitenbereichs: Inhalt:

Vorstellung des Forschungsprojektes

„Modernisierung des ABGB, vor allem in sprachlicher Hinsicht (ABGB in Klarsprache)“

Siehe auch Vorstellungsaufsatz in der ÖJZ 2015, 869.

1. Der Status quo

Das ABGB stammt aus dem Jahre 1811, ist also schon über 200 Jahre alt. Viele seiner Paragrafen gelten seither sprachlich unverändert. Andere, neu hinzugekommene, sind textlich schwerfällig und haben das Gesetz überdies sehr inhomogen gemacht. Hinzu kommen eine altertümliche äußere Systematik (Institutionen- statt Pandektensystem) sowie ein zT veraltetes inneres System (was sich besonders in den §§ 1002 ff über den „Bevollmächtigungsvertrag“ zeigt). Das privatrechtliche Zentralgesetz weist also aus heutiger Sicht eine Mehrzahl von Mängeln auf. Auf einen Schlag ist ihnen nicht beizukommen; abgesehen davon, dass es von vielen Zufälligkeiten abhängt, ob, wann und wie der Gesetzgeber tätig wird.

Aus diesem Grund sollte sich ein Modernisierungsprojekt keine utopischen Ziele setzen. Sie liegen daher auch nicht in der Erarbeitung eines vollständig neuen bürgerlichen Gesetzbuchs, wofür – nach eingehenden rechtsvergleichenden Studien – neben neuer Systematik und verbesserter Sprache in vielen Bereichen wohl auch eine inhaltliche Neugestaltung nötig wäre. Einerseits wäre so etwas schon zeitlich eine Jahrzehnteaufgabe und andererseits wäre völlig ungewiss, was aus den Ergebnissen wird. Kritische Bemerkungen zum status quo erscheinen allerdings punktuell durchaus sinnvoll, gehören doch Analyse und Systembildung zu den Kernaufgaben der Rechtswissenschaft.

2. Die (weitestgehende) Beschränkung auf den sprachlichen Aspekt

Klar im Zentrum des Projekts steht die Textierung der Gesetzesbestimmungen. Das verspricht heutzutage durchaus auch praktischen Nutzen: Gerade in jüngerer und jüngster Zeit hat „der Gesetzgeber“ (bzw das BMJ mit seinen Legisten) mehrfach signalisiert, zu sprachlichen Verbesserungen bereit zu sein (letztes und umfassendstes Beispiel ist die große Erbrechtsreform vom Juli 2015, mit der über 250 Paragrafen textlich neu gefasst wurden). Daher wird der Versuch unternommen, das gesamte ABGB in eine gut verständliche, zeitgemäße und zugleich präzise Sprache zu bringen.

Am Beginn stand schlicht die Idee, das gesamte ABGB mit seinen einzelnen Paragrafen so zu formulieren, dass die heutige (Studenten-)Generation vor keinen allzu großen sprachlichen Herausforderungen steht. Rasch wurde allerdings klar, dass eine bloß sprachliche Änderung zwar deutliche Verbesserungen bringen kann, jedoch zumindest gelegentlich weitere Eingriffe (wie Ergänzungen, Harmonisierungen und Streichungen) wünschenswert sind. Daher wird nunmehr eine ein wenig über den reinen Sprachaspekt hinaus gehende Aufgabenstellung favorisiert: Primär geht es – unter Mitwirkung eines Sprachwissenschaftlers – um die Herstellung besserer Verständlichkeit, gelegentlich aber auch um Klarstellungen bzw um Verbesserungen von Begriffsbildung und Systematik. Darüber hinausgehende rechtspolitische Ambitionen in sachlich-inhaltlicher Hinsicht werden hingegen ganz bewusst nicht verfolgt.

3. Hauptziel: Erstellung eines ABGB-Textes in klarer Sprache und Systematik

Hauptziel des Projekts ist somit die Erstellung eines heutzutage gut verständlichen (vollständigen) Gesetzestextes. Die Vorteile sind evident und verbessern den seit Jahrzehnten vielbeschworenen „Zugang zum Recht“. Auch wenn dabei die Federführung in der juristischen Hand liegen muss, ist die anleitende und begleitende Mitwirkung eines Sprachwissenschaftlers mE unverzichtbar. Mit Rudolf Muhr konnte ein Linguist gefunden werden, der sich darüber hinaus für Rechtstexte besonders interessiert und mit ihnen bereits jahrelange Erfahrung gesammelt hat. Das von ihm verfolgte Konzept der „Klarsprache“ ist nicht zuletzt für Rechtstexte von besonderem Interesse. Der Begriff „Klarsprache“ („plain language“) ist heutzutage weltweit verbreitet, die dahinterstehenden Ideen werden häufig aufgegriffen. Ausführliche Erläuterungen dieses Konzepts sind unter KLARSPRACHE.AT zu finden.

Überblick Sprachstellen (vor allem in Europa)

Ziel ist die Verwendung von klarer, verständlicher Sprache und verständlichen Texten im Interesse der Adressaten dieser Texte. Auch durch zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass die Abfassung komplexer juristischer Inhalte in Klarsprache ohne Bedeutungsverlust durchaus möglich ist. Das gilt auch für die Umformulierung vorhandener, unnötig komplexer oder – wie im Falle des ABGB – veralteter Rechtstexte. Damit dies gelingt, sind verschiedene Arbeitsschritte der Textanalyse und Reformulierung nötig.

4. Grundsätze der Projektarbeit

Folgende Grundsätze sollen beim Versuch, ohne besonderen Zeitdruck und ohne „inhaltliche Eigeninteressen“ im Vergleich zum geltenden Recht zumindest bessere – nicht, da unmöglich: perfekte – Gesetzestexte zu schaffen, aber jedenfalls beachtet werden:

  • Vereinfachungen in terminologischer Hinsicht (worin durchaus ein gesetzestechnisches Prinzip gesehen werden kann - „Einheit der Rechtssprache“ als ein wesentlicher Aspekt einer „Einheit der Rechtsordnung“.). Da ohnehin schon eine kaum mehr überblickbare Zahl von Rechtstermini herumschwirrt, sollte die Terminologie gerade heutzutage so einfach und so einheitlich wie möglich sein (aufgrund der Digitalisierung der Rechtstexte sollte dies technisch unterstützt gut bewältigbar sein).
  • Die konsequente Verwendung ein und desselben Begriffs für dieselbe Sache und nicht mehrere zugleich, von denen oft nicht klar ist, ob sie denselben Sachverhalt bezeichnen. Beispiel dafür ist der Begriff „Sache“ in den §§ 1053-1089, der auch als „Kaufstück“ oder „Ware“ vorkommt.
  • Komplexe Komposita, die oft sehr schwer verständlich sind, werden möglichst in verbale Formulierungen aufgelöst;
  • Altertümliche Formulierungen werden in Formulierungen umgewandelt, die nahe an der heutigen Alltagssprache sind;
  • Umständliche und in vielen Fällen unnötige Präzisierungen werden – wo immer sie als überflüssig erscheinen – nicht in die Neuformulierungen aufgenommen, da sie unnötigen Ballast darstellen und den Kern der Norm oft unklar machen;
  • Zentrale Aussagen möglichst gleich am Anfang jeder Norm; erst anschließend Ausnahmen/Abweichungen oder Differenzierungen
  • Komplexe Satzkonstruktionen weitestgehend auflösen; Paragrafen mit mehreren Sätzen durch Absätze untergliedern.
  • Inhaltlich in sich geschlossene Passagen werden zu einem eigenen Absatz umgewandelt, sodass die einzelnen Normbestandteile deutlich werden und man auf sie referieren kann.
  • Das unausgesprochene Ziel ist es, Formulierungen zu finden, die (a) den Inhalt des Ausgangstextes möglichst genau wiedergeben und (b) so gestaltet sind, dass sie mit möglichst einfachen Sätzen ohne komplexe Verschachtelungen ausgedrückt werden können. Das ist natürlich ein nicht immer erreichbares Ideal; aber eines, das eine Richtschnur darstellt, die sehr hilfreich ist, um eine verständliche Formulierung zu finden.
  • Stets muss im Auge behalten werden, dass eine bessere Verständlichkeit nicht zulasten juristischer Präzision gehen darf.

Zumindest in den Alternativvorschlägen, die (ein wenig) über das bloße Umformulieren/„Übersetzen“ des geltenden Gesetzes hinausgehen, wäre überdies zu berücksichtigen:

  • Bestimmungen mit Rechtsfolgen, die sich ohnehin aus generelleren, an anderer Stelle zu findenden Regeln ergeben, die also ohne eigene normative Bedeutung sind, streichen. Das Gesetz ist auch ohne solche Wiederholungen umfangreich genug.
  • Kontext einer konkreten Bestimmung (im ABGB selbst, aber auch außerhalb des ABGB) beachten. Insoweit empfiehlt sich auch eine Vermehrung der im ABGB bis dato nur spärlich anzutreffenden internen und externen Verweise.
  • Erkannte Auslegungsprobleme, allenfalls auch Analogiefragen, für die heutzutage eine (nahezu) einhellige Lösung anerkannt ist, wenn möglich im Gesetzestext selbst klären; jedenfalls dann, wenn es nicht um seltene Ausnahmen geht und die Klarheit der Regelung keine Beeinträchtigung erfährt.
  • Extrem spezielle Regelungen, die sich heutzutage praktisch kaum einmal stellen und die in einer modernen Kodifikation – aller Voraussicht nach – keinen Platz gefunden hätten, ersatzlos streichen.
  • Gänzlich neue Regelungen nur ganz ausnahmsweise, da Derartiges dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben soll. Ergänzungen kommen aber auch im Zuge dieses Projekts etwa dann in Betracht, wenn im ABGB vorhandene Begriffe ohne ersichtlichen Grund keine Umschreibung erfahren haben, vergleichbare aber sehr wohl (Beispiel: vertretbare und unvertretbare Sachen).

Noch offen ist, wie mit Bestimmungen umgegangen werden soll, deren Inhalt in keiner Weise überzeugt (vgl § 301 Satz 1). Minimum wird sein, auf derartige offenkundige Ungereimtheiten zumindest in irgendeiner Weise hinzuweisen.

5. Die geplanten Projektschritte

Der geplante Ablauf der Projektarbeit sieht wie folgt aus:

Schritt 1: Erste Textfassung

Zum Teil auf Basis studentischer Vorarbeiten aus Seminar- und Diplomarbeiten zu den (vermutlichen) Gründen der gesetzlichen Formulierungen werden – primär von Peter Bydlinski, aber mit mehrfacher Unterstützung (Projektteam und Beirat) – konkrete Textverbesserungen versucht. Dabei auftretende offene Fragen werden als zunächst noch offen vorgemerkt und durch vertiefte Recherchen weiter geklärt. Bei entsprechendem Bedarf wird neben der „Übersetzung in klare Sprache“ ein darüber hinaus gehender, weiterführender Vorschlag gemacht; gelegentlich als ausformulierter Text, gelegentlich bloß als stichwortartiger Hinweis gestaltet.

Schritt 2: Die sprachwissenschaftliche Durchsicht

Die auf diese Weise in einem ersten Durchgang (meist) neu formulierten Texte – nur ganz selten dürfte eine Norm wörtlich unverändert bleiben – werden anschließend einer sprachwissenschaftlichen Durchsicht unterzogen, in der es neben der Satzstruktur und dem Normaufbau um Verständlichkeit (der gesamten Norm, uU aber auch bloß bestimmter Worte) geht. Dieser Schritt wurde in den ersten Jahren des Projekts von Rudolf Muhr durchgeführt. Mittlerweile ist insoweit bereits Routine eingekehrt.

Schritt 3: Zweite Textfassung und Publikation auf der Projektplattform

Im dritten Schritt wurde und wird entschieden, ob und inwieweit Anregungen aus (insbesondere) sprachwissenschaftlicher Sicht zu einer Änderung der bisherigen Textvorschläge führen sollen. Anschließend werden die Texte in Tabellenform mit kurzen Vorbemerkungen auf die Projektplattform gestellt (siehe §§-Gruppen).

Seit 2023 entsteht in Kooperation mit dem Zentrum für Informationsmodellierung zusätzlich ein Prototyp eines „eABGB“ (abrufbar unter: https://gams.uni-graz.at/context:eabgb oder über den Link auf der Projektplattform). Viele fertiggestellte §§-Gruppen wurden bereits auch dort publiziert. An einer weiteren Adaptierung des Programms wird gearbeitet; so könnten etwa alle Vorteile der Informationstechnologie genutzt werden, wie insbesondere die Verlinkung auf im RIS enthaltene Normen außerhalb des ABGB sowie auf einschlägige Gerichtsentscheidungen.

Schritt 4: Einbeziehung der Fachöffentlichkeit

Parallel zur Erarbeitung weiterer Textvorschläge soll es zu einer Einbeziehung der interessierten Fachöffentlichkeit kommen, die hiermit ausdrücklich eingeladen wird sich zu beteiligen. Details dazu unter Einladung zur Mitwirkung.

Schritt 5: Gesamtredaktion

Nach (vorläufiger) Fertigstellung aller überarbeiteten Textfassungen (aktueller Zeithorizont dafür: 2027) wird unter Berücksichtigung der eingegangenen Anregungen aus der Fachöffentlichkeit im Rahmen einer Gesamtschau der Bedarf nach Abstimmung der einzelnen Teile geprüft. Zugleich soll ein Terminologieverzeichnis entstehen, das alle bearbeiteten Begriffe enthält und vor allem leicht erkennen lässt, welche Gesetzestermini durch welche (neuen) Ausdrücke ersetzt wurden. Zugleich wird damit ein wesentlicher Teil der Forschungsarbeit dokumentiert.

Schritt 6: Testlauf

In einer Spätphase des Projekts sollen Personen verschiedener Herkunftsgruppen befragt werden. Sie sollen angeben, ob sie die ihnen vorgelegte Texte verstehen, welche von zwei bis drei Textvarianten für sie verständlicher ist und wo sie Probleme mit dem Gemeinten haben. Über Details der Ausgestaltung dieser Phase, die ein wenig dem (angeblichen) Verständlichkeitstest des ABGB vor seinem Inkrafttreten nachempfunden ist (Stichwort „buta ember“), wird noch nachzudenken sein. Die Ergebnisse der Befragung könnten bei einzelnen Paragrafen noch zu letzten Umformulierungen führen.

Schritt 7: endgültige Publikation

Alle erarbeiteten Dateien (Text-Letztfassungen einschließlich Vorbemerkungen, Alternativvorschläge, Terminologieverzeichnis) sollen abschließend publiziert werden; zumindest zum Teil auch in Papierform (etwa als Studienbehelf). Über eine elektronische Publikation der Ergebnisse des gesamten wissenschaftlichen Projekts wird noch nachgedacht. Bei dieser könnten alle Vorteile der Informationstechnologie genutzt werden, so insbesondere die Verlinkung auf im RIS enthaltene Normen außerhalb des ABGB. (Zu dem in Entstehung befindlichen Prototyp eines eABGB siehe schon bei Schritt 3.)

6. Zwecke der fertig gestellten Ausarbeitung

Mit den Ergebnissen des Projekts werden gleich mehrere Zwecke verfolgt; die Arbeit hat ihr Ziel erreicht, wenn zumindest einzelne davon erreicht werden:

  • Ein für Studierende verständlicher Text, der ihnen hilft (wieder verstärkt) mit dem Gesetz zu arbeiten.
  • Eine bessere Orientierung für Personen, die nur selten mit dem ABGB zu tun haben (juristische Laien, aber auch Juristinnen und Juristen, die nicht ständig mit dem ABGB arbeiten).
  • Anregungen an und erste Vorschläge für den Gesetzgeber, wenn weitere Novellierungen des ABGB in Angriff genommen werden sollen.

7. Aktueller Stand des Projekts (Stichtag 1.3.2024)

Von den aktuell 1325 Paragrafen des ABGB haben bisher 976 §§ die Schritte 2 und 3 hinter sich und befinden sich auf der Projektplattform (siehe §§-Gruppen); 349 sind noch zu bearbeiten.

Projektassistent

Mag.

Alexander Aichmayr

Universitätsstraße 15/D4
8010 Graz

Telefon:+43 316 380 - 3327


Ende dieses Seitenbereichs.

Beginn des Seitenbereichs: Zusatzinformationen:

Ende dieses Seitenbereichs.